Elon Musks Twitter-Saga: Wie zerstöre ich ein Unternehmen in vier Schritten?

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Daily News Elon Musks Twitter-Saga Wie zerstöre ich ein Unternehmen in vier Schritten?

Elon Musk fährt als neuer Twitter-Chef harte Bandagen auf. Mitarbeiter fliehen in Scharen. Dem sowieso schon unprofitablen Unternehmen könnte das den Rest geben. Eine Chronik.

Ernst nehmen kann man Elon Musk wohl schon lange nicht mehr. Doch seine neuesten Tweets zeigen die krude Art von Humor, die der neue Twitter-Chef neuerdings an den Tag legt. Eine Totenkopfflagge, dann ein Meme von einem Begräbnis mit einem Twitter-Vogel auf dem Grabstein und auf dem Gesicht eines Mannes, der daneben kniet und ein Peace-Zeichen zeigt. Twitter ist tot, #RIPTwitter, ist ein Hashtag der auf dem Kurznachrichtendienst gerade trendet. Und Musk sagt diesem Hashtag auf seine eigene Art den Kampf an.

Doch wer wird Recht behalten? Diejenigen, die voraussagen, dass Musk bei Twitter gerade alles zerstört, was nur geht? Oder Musk selbst, der zeitweise überzeugt zu sein scheint, aus Twitter das Beste herausholen zu können, wenn nur die Mitarbeiter bleiben, die ihn in seinem Schalten und Walten dort unterstützen? Auf den ersten Blick jedenfalls scheint Musks Vorgehen seit seiner Übernahme des Kurznachrichtendiensts ein Lehrstück darüber zu sein, wie man ein Unternehmen zerstört. Eine Chronologie in vier Schritten.

Schritt 1: Verärgere deine wichtigsten Kunden

Twitter hatte noch nie ein funktionierendes Geschäftsmodell. Der Großteil der Umsätze, zuletzt über 90 Prozent, kam über Werbeeinnahmen. Doch die für das Unternehmen so wichtigen Werbekunden hat Musk verärgert. Denn: Wer online wirbt, der ist darauf angewiesen, dass seine Werbung nicht in unangebrachten Kontexten erscheint. Hassrede, Fakenews, Gewalt – alles keine guten Plätze für Werbung.

Als Elon Musk ankündigte, die Regelungen zur Moderation der Inhalte zu ändern, reagierten einige Werbekunden verärgert. Die Interpublic Group of Companies (IPG) etwa, eine der größten Werbeagenturen überhaupt, forderte ihre Kunden auf, Werbung auf Twitter vorerst aufzusetzen. General Motors, Ford, Audi, Volkswagen, der Pharmakonzern Pfizer und die Lebensmittelkonzerne General Mills und Mondelez, der Milka- und Oreo-Hersteller, sie alle gaben an, ihre Werbung auf Twitter vorübergehend einstellen zu wollen.

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Twitters Werbeeinnahmen waren auch bisher nur ein Bruchteil dessen, was Kunden auf Facebook und Instagram, Youtube oder TikTok ausgeben. Auch die Resultate von Werbung auf Twitter dürften überschaubar sein. Dadurch, dass Musk Unsicherheit für die Werbekunden heraufbeschwört, könnte er auch einen langfristigen Exodus der Werbenden provozieren.

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Einige Experten gingen anfangs davon aus, dass die Verifikation – die Musk von nun an im Twitter-Blue-Abo verfügbar machen will – dazu führen könnte, dass Twitter attraktiver für Werbekunden würde. Denn Twitter hat auch ein Bot-Problem, was die Zielquoten von Werbung schwer analysierbar macht. Doch die Änderungen bei der Verifizierung von Twitter gingen nach hinten los. Und könnten noch viel mehr Kunden das Vertrauen kosten, siehe Schritt 2.

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Schritt 2: Suche dir eine andere Einnahmequelle, die du aber falsch umsetzt

Um Twitter profitabel zu machen, überlegte sich Musk einen Coup: Wer fortan einen blauen Haken haben will, der dafür steht, dass besagter Account verifiziert ist, soll acht Dollar im Monat fürs Twitter-Blue-Abo zahlen.

Unternehmerinnen, Politiker und Medien, die bisher kostenlos verifiziert worden sind, dürften im großen Stil Geld zahlen und Musk so Umsätze einbringen, so sein Kalkül. Doch das ging nach hinten los: Musk führte das neue Modell überschnell ein, so dass Unternehmen darunter zu leiden hatten.

Diverse Nutzer erkauften sich Verifizierungen für echte Unternehmen und verbreiteten Falschnachrichten. Ein gefälschter Account des Früchtehändlers Chiquita schrieb, der Händler habe die Regierung Brasiliens gestürzt. Ein Nutzer war als „Jesus“ verifiziert. Und ein Account mit dem Namen des Pharmakonzerns Eli Lilly verkündete, dass Insulin in Zukunft kostenlos sei. Der Börsenkurs des Unternehmens brach daraufhin ein. Musk setzte das Abo daraufhin aus – und will es nun ab dem 29. November wieder anbieten. Damit der zweite Anlauf klappt, braucht Musk allerdings fähige Mitarbeiter. Womit wir bei Schritt 3 angekommen wären.

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Unmittelbar nach der Übernahme Ende Oktober setzt Musk den damaligen Twitter-Chef Parag Agrawal, den Finanzvorstand Ned Segal und die Chef-Justiziarin Vijaya Gadde vor die Tür. Er selbst übernahm den Chefposten und leitet damit nun fünf Firmen, darunter den Elektroauto-Bauer Tesla und die Weltraumfirma SpaceX.


Musk feuert zunächst etwa 3700 Personen und damit die Hälfte der damaligen Belegschaft, um anschließend einige von ihnen um eine Rückkehr zu bitten. Kurz darauf schafft er die Möglichkeit zum Arbeiten im Homeoffice ab. Mitte November fordert der neue Twitter-Eigner die Beschäftigten ultimativ auf, lange Arbeitszeiten mit hoher Intensität“ zu akzeptieren oder mit einer Abfindung zu gehen.


Am 5. November stellt Twitter das gebührenpflichtige Premium-Konto „Twitter Blue“ vor. Es bietet unter anderem einen blauen Haken, der einen Account als verifiziert kennzeichnet. Drei Tage später folgt die Ankündigung eines Siegels „Offiziell“ für Medien oder Regierungen, das gemeinsam mit dem Abo-Modell, das acht Dollar im Monat kostet, eingeführt werden soll. Am 9. November kassiert Musk das „Offiziell“-Label wieder. Am 11. November ist „Twitter Blue“ Geschichte, weil gefälschte Accounts wie Pilze aus dem Boden schießen. Dafür können sich einige Nutzer nun doch mit dem „Offiziell“-Siegel schmücken. Wenige Tage später kündigt Musk für den 29. November eine Neuauflage des Abo-Modells an.


Anfang November kündigt Musk eine verbesserte Suchfunktion an. Die aktuelle erinnere ihn an die Suchmaschine Infoseek aus dem Jahr 1998. Außerdem sollen künftig längere Texte an Tweets angehängt werden können. Darüber hinaus werde er Nutzern ermöglichen, jede Form von Beiträgen zu Geld zu machen.


Twitter-Nutzer, die parodistische Accounts nicht klar als solche kennzeichnen, werden ohne Warnung von der Plattform geworfen, schreibt Musk am 6. November. Am selben Tag gibt er das Ziel aus, Twitter zur „genauesten Informationsquelle“ zu machen. Er will unter anderem die Verhaltensregeln auf der Plattform lockern.


Zahlreiche Konzerne wie der Autobauer Volkswagen oder die Fluggesellschaft United Airlines schalten vorerst keine Anzeigen mehr auf Twitter. Werbung ist bislang die Haupteinnahmequelle von Twitter. Der selbsternannte „Absolutist der Meinungsfreiheit“ Musk wirbt daraufhin um Vertrauen. Er wolle die Plattform zu einer Kraft der Wahrheit machen und Fake-Accounts stoppen. In einer Betriebsversammlung warnt er jedoch vor einer möglichen Pleite des Kurznachrichtendienstes.

Schritt 3: Entlasse einen Großteil der Mitarbeiter, ohne zu überlegen, wen du brauchst

Nur eine Woche nachdem Musk die Macht bei Twitter übernahm, feuerte er gut die Hälfte seiner Mitarbeiter. Die Betroffenen erfuhren das nicht, wie erst versprochen, per Mail. Sondern die meisten merkten, dass sie zum Kreis der Entlassenen gehörten, als sie sich morgens nicht mehr in ihre Arbeitsaccounts einloggen konnten.

Die Entlassungen hat Musk aber genauso überstürzt wie dann später das Rollout des neuen Twitter-Blue-Abos. Ein paar Tage später nämlich erzählten Mitarbeiter schon davon, dass Musk sie zurückhaben wolle – offenbar hatte er ungewollt auch Mitarbeiterinnen entlassen, die für den Unternehmenserfolg wichtig sind. Wie viele der fälschlicherweise gefeuerten Mitarbeiter das angebliche Rückkommangebot angenommen haben, dazu gibt es keine Zahlen. Denjenigen, die da noch nicht gefeuert waren, stellte Musk dann ein Ultimatum, siehe Schritt 4.

Schritt 4: Lass die restlichen Mitarbeiter selbst entscheiden, ob sie bleiben oder gehen wollen

Der neueste Streich, den Elon Musk vorgenommen hat, kam in Form eines Formulars. 36 Stunden hatten die Twitter-Mitarbeiter Zeit sich zu überlegen, ob sie in Zukunft „extrem hardcore“ sein wollten und harte Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen wollen. Dazu zählen etwa 80-Stunden-Wochen inklusive einer Anwesenheitspflicht von mindestens 40 Stunden pro Woche im Büro. Wer die Reise ins „Twitter 2.0“ mitgehen wolle, könne im Formular auf „Ja“ klicken – wer das nicht bis zur Deadline, die am Donnerstagnachmittag amerikanischer Zeit endete, tat, sei automatisch gefeuert.

Laut verschiedenen US-Medien sollen mehrere Hundert Mitarbeiter das Unternehmen daraufhin verlassen haben – teilweise schrieben Mitarbeiter auf Twitter, dass sich ganze Teams geschlossen zum Weggang entschieden haben. Einige Ex-Mitarbeiter warnten vor technischen Ausfällen: Mit dem Massenexodus gebe es nicht genug technische Expertise, um Twitter am Laufen zu halten. Daraufhin trendete der Hashtag #RIPTwitter, Bilder von Grabsteinen machten die Runde, die Musk selbst dann parodierte.

Und wie geht es jetzt weiter mit Twitter?

Bisher ist schwer zu überschauen, wie es bei Twitter weitergehen wird. Sollte Musk irgendwann in einem Team aus Musk-Fans arbeiten, die seinen Führungsstil und seine Visionen feiern, könnte er es schaffen, das Ruder herumzureißen. Doch was genau er mit Twitter vorhat – etwa im Bezug auf digitale Zahlungen oder das Web 3.0 –, bleibt weiterhin unklar.

Während Nutzer anscheinend in Scharen ankündigen, Twitter zu verlassen, spricht Musk selbst übrigens von einem Allzeithoch bei den Twitter-Nutzern. Mit Zahlen belegt er das nicht. Eine Analyse der Webseite Similarweb zeigt für den Oktober 7,01 Milliarden Besuche an, etwas mehr als die 6,802 Milliarden Besucher im September, aber weniger als 7,104 Milliarden Besuche im August. Aktuellere Zahlen für den November lassen sich darüber bisher nicht abrufen. Die Webseite listet den japanischen Instantmessagingdienst Line als größten Werbekunden bei Twitter, gefolgt von Nike, Bing und der Manga-Website Chapmanganato.

Doch die Werbekunden, Mitarbeiter und Nutzer sind nicht die einzigen, mit denen Musk klarkommen muss: Auch Regulierungsbehörden nehmen Twitter genauer ins Visier. Mit der Vorsitzenden der US-amerikanischen Federal Trade Comission (FTC) Lina Khan könnte sich Musk eine starke Gegnerin eingehandelt haben. An sie schrieben sieben Demokraten mit der Aufforderung, Twitter genauer unter die Lupe zu nehmen. Musk habe „alarmierende Schritte unternommen, die die Integrität und Sicherheit der Plattform untergraben haben“. Die FTC nahm zu dem Brief bisher keine Stellung.

Die EU-Kommissarin Věra Jourová sagte den Zeitungen der VRM: „Wenn Musk ‚No way‘ sagt, sagen wir auch ‚No way‘“ und drohte mit einem Bußgeld in Milliardenhöhe. Und auch die deutsche Bundesregierung verfolge die Situation „mit wachsender Sorge“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit der dpa.

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